Dr. h.c. Stanley Keleman
Honorary President and
Director of the Studies of the Principles
and Methods of Formative Psychology
Interview mit Leila Cohn, der Leiterin des brasilianischen Instituts für formative Psychologie
(Foto: Imma Schmidt)
Stanley Keleman (1931–2018) gehörte ursprünglich zu den Pionieren der Humanistischen Psychologie. Der grossen Bedeutung wegen, die ihm als Mitbegründer dieser Richtung zukommt, hat die «University of California» in Santa Barbara Stanley Kelemans Entwicklung als Wissenschafter, Lehrer und Therapeut in Interviews nachgezeichnet und als Buch mit dem Titel «Who own the body?» herausgegeben.
Mittlerweile lässt sich Keleman nicht mehr in eine der bestehenden Richtungen einordnen - weder in die tiefenpsychologischen, noch in die körperorientierten Schulen, da er einen völlig eigenen Weg eingeschlagen hat.
Seiner Richtung hat er den Namen «formative Psychologie» gegeben. In den letzten Jahren wurde ihm eine Vielzahl von Ehrungen zuteil, insbesondere die Verleihung der Ehrendoktorwürde.
Die formative Sicht: Morphogenese - Metamorphose
Keleman grenzt sich von den traditionellen, vom kausalen Denken beherrschten psychologischen Schulen ab, welche einem dualistischen Weltbild verhaftet sind und deren Hauptfrage heisst: «Warum ist es so?» oder «woher kommt es, dass....?». Keleman stellt die formative Frage: «Wie mache ich es?» anstatt «warum mache ich es so?».
Nach Keleman ist jeder lebende Organismus darauf ausgerichtet, den Prozess von Formbildung und Umgestaltung von Form - Morphogenese und Metamorphose - zu vollziehen. Die Möglichkeit und Herausforderung des Menschen sieht er darin, auf diese Gestaltungsdynamik durch willentliche Einflussnahme einzuwirken. So ist der Mensch zugleich ein sich selbst Formender und ein Geformter. Dies ist die kürzeste Ausformulierung dessen, was Keleman mit dem formativen Prozess meint. «Form» ist jedoch nicht in einem statischen Sinne zu verstehen sondern dynamisch: «Form ist verlangsamte Bewegung». (S. Keleman)
Erfahrungen verkörpern und umgestalten
«Embodying experience - forming a personal life» ist der Titel eines Buches von Stanley Keleman. Dies bedeutet: wir verleiben uns im wörtlichen Sinn Erfahrungen ein und bilden - auf dem Hintergrund angeborener Muster - nach und nach unsere persönlichen Handlungs- und Ausdrucksmuster aus. «Embodying» ist also beides - «einverleiben» oder «einkörpern» und «verkörpern», beeindruckt sein und ausdrücken. Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, dass es ein «Ich» gibt, das etwas «im Körper» zum Ausdruck bringt, sondern dass der Mensch selber ganzheitlich dieser organisierende, formbildende und umgestaltende Prozess ist, der sich leibhaft manifestiert und in Erscheinung tritt.
Keleman geht noch einen Schritt weiter und spricht von «to body», übersetzbar etwa mit «leiben» oder «darleiben». Wer wir als Menschen sind, ist nicht ein psychisches Befinden sondern ein leibhaftes In-Erscheinung-Treten. Es ist eine Art und Weise, wie wir als lebendiger menschlicher Organismus unser In-der-Welt-Sein formen und uns in die Welt hinein formen.
Bürger zweier Welten
«Die Gestalt jedes Menschen ist seine Verkörperung in dieser Welt. Wir sind einerseits der Leib, den wir ererben und von dem wir gelebt werden und anderseits ein persönlicher Körper, derjenige, den wir selber leben und durch den Einsatz willentlicher muskulär-kortikaler Einflussnahme gestalten. Wir sind Bürger zweier Welten, die verwurzelt sind im Belebten und im Unsterblichen und Zeitlosen.» (S. Keleman)
Dieses ist die universelle Matrix des Lebendigen, die sich in jedem einzelnen individuell verkörpert.
Der Weg der Formbildung bedeutet uns selbst mit einer umfassenderen Ordnung zu verbinden. (S. Keleman)
Persönlichmachen des organisierenden Prozesses
Menschen können über ihre kortikale Funktion lernen, auf ihren leibhaften Gestaltungsprozess Einfluss zu nehmen, ihr Leben selbst zu leben und nicht von ihm gelebt zu werden, nicht von reflexartigen Verhaltensweisen oder äusseren Einflüssen bestimmt zu werden. Das Persönlichmachen der eigenen Verhaltensweisen bedeutet, ererbte und erworbene Verhaltensmuster zu regulieren, zu differenzieren und umzugestalten.
Willentliche Einflussnahme: die Methode der 5 Schritte
Stanley Keleman hat eine Methode entwickelt, die den anatomisch-physiologischen Gegebenheiten, wie sie neue Forschungen darlegen, Rechnung trägt. Da normalerweise unsere gesamten Reaktionen, Verhaltensmuster automatisch und unwillkürlich so schnell ablaufen, dass sie willentlicher Beeinflussung nicht zugänglich sind, ist die Grundlage dieser Methode so einfach wie schlagend, durch Innehalten und durch Verlangsamen, Digitalisieren der Verhaltensmuster, gelingt es, willentlich Einfluss auf die muskuläre Schicht zu nehmen, welche die übrigen Schichten des Organismus mit einbezieht. So können Menschen lernen, die eigenen Verhaltensmuster zu regulieren und ein Spektrum an Möglichkeiten bereitzuhalten, mit denen sie auf die Anforderungen konkreter Situationen antworten können. «Taking charge of your life» ist die Formel, mit der Keleman sein Anliegen auf den Punkt bringt sowie im Satz: "Selbstformung ist der Schlüssel zur Freiheit."
Seine Methode nennt Kelman die «Methode der fünf Schritte» oder die «Wie-Methode».
«Die Wie-Übung ruft einen Dialog zwischen Gehirn und Körper hervor und schafft damit Beziehung zwischen den Puls- und Beweglichkeitsmustern des Körpers. Die Übung verschafft uns eine nicht an Sprache gebundene Erfahrung unseres organisierenden Prozesses und die Erfahrung der Vertrautheit der bekannten körperlichen Form, welche die auftauchende unbekannte Form empfängt.» (S. Keleman)
Der Ablauf in diesen fünf Schritten ist identifizierbar durch folgende Fragen:
- Schritt 1: Was mache ich?
- Schritt 2: Wie mache ich es?
- Schritt 3: Wie höre ich damit auf?
- Schritt 4: Was geschieht, wenn ich damit aufhöre?
- Schritt 5: Wie wende ich das an, was ich gelernt habe?
Am Anfang steht die Erfahrung dessen, «was ist» (Schritt 1). Wird ein solches leibhaftes Muster langsam, schrittweise, mit willentlicher Einflussnahme verstärkt und wieder abgebaut, so wird seine Dynamik beeinflussbar. In diesem Prozess des Organisierens und Desorganisierens einer Form (Schritt 2 und 3) entsteht ein Dialog zwischen den viszeralen, neuralen und muskulären Schichten. Die Pause, das Warten danach (Schritt 4) gibt Raum für Integration, lässt Neuronen und neue synaptische Verbindungen entstehen. Es ist wie eine organismische Schwangerschaft, einer Inkubation, aus der neue Formen entstehen, und diese sind nicht metaphorisch sondern konkret-leibhaft gemeint, verankert in den Gesetzmässigkeiten unseres biologischen Seins. Wenn man deren Funktionieren versteht, willentlich beeinflusst und zu weiterem Wachstum benutzt und im alltäglichen Leben eingesetzt werden können (Schritt 5).
Wie dies alles konkret aussieht, zeigt der folgende Text aus «Forme dein Selbst»:
Wie oft hat man mir als Kind gesagt, ich solle nicht weinen? War ich kurz davor, wusste ich, dass ich es durch Auf-die-Lippen-Beissen unterdrücken konnte. Ich rief mir dieses Auf-die-Lippen-Beissen immer wieder ins Gedächtnis und wiederhole so die Handlung. Und dann übte ich die Bewegung solange, bis ich mir nicht mehr auf die Lippen beissen musste und mich, durch Zusammenpressen meines Kiefers, vom Weinen abhalten konnte. Als Erwachsener kontrolliere ich nun meine Tränen, indem ich dieses Muster wiederhole. Wenn ich mich frage, wie ich mich davor hüte, zu weinen oder weich zu werden, dann sage ich: «Ich mach es eben so». Wenn ich darauf bestehe, genau herauszufinden wie ich es mache, entdecke ich möglicherweise, dass ich mich in der Brustmuskulatur «zusammenreisse», oder aber «ich sehe mich selbst stark und gross» und versuche dann auch «gross zu sein» und das Gefühl von Stärke zu bekommen. Ich spanne die Magenmuskeln an, versteife meinen Nacken, presse meinen Kiefer zusammen, und falls ich merke, dass mir immer noch zum Heulen ist, intensiviere ich das alles, bis ich selbst wie zu einem gewaltigen Spasmus werde.
Wir alle machen das so, bewusst oder unbewusst, Schritt für Schritt. Wir ziehen Muskeln zusammen und dann noch weitere, bis wir schließlich das Muster, das auftauchen möchte, beherrschen. Obwohl wir uns auf diese Weise ein Image und ein Gefühl von emotionaler Stärke erschaffen, ist doch eine Verkrampfung die Grundlage unseres Selbst-Bildes und des sie begleitenden Gedankenmusters: «Ich bin stark».
In der somatischen Prozessarbeit hat jene Hilfe den Vorrang, die es uns ermöglicht, die Muster, wie wir uns selbst gebrauchen, herauszufinden. Der zweite Schritt besteht darin zu lernen, wie wir ein Muster beenden können. Um ein Muster zu verändern, müssen wir erst erfahren, wie wir das Muster organisieren. Wir können das Gehirn dazu trainieren, verschiedene Spannungsmuster innerhalb eines Aktionskontinuums zu erkennen (Schritt 3). Und schliesslich können wir in der Inkubationsphase auf unsere eigene Antwort warten und sie aufnehmen.
Somatisch-emotionales Wachstum
Stanley Kelemans formative Arbeit ist präzise, realitätsbezogen und effizient, da er nicht von psychologischen Deutungsmustern ausgeht, sondern von dem, was sich leibhaft, d.h. somatisch-emotional zeigt. Der Hauptfokus ist: «Was will sich jetzt formen?». «Wer ist die Person dabei zu werden, welche leibhafte Schicht will zum Vorschein, in den Vordergrund kommen?» Keleman ist ein glänzender klinischer Psychologe, doch sein übergreifendes Anliegen ist nicht die «Heilung» von Störungen, obwohl auch dies wesentlich zu seinem therapeutischen Schaffen gehört. Vielmehr geht es ihm darum, somatisch-emotionales Wachstum zu fördern, den je individuellen Formungsprozess zu begleiten und zu unterstützen. Seinen Arbeits-Schwerpunkt bezeichnet er als «somatic emotional education».
Wichtige Begriffe des Formativen Konzepts
Kelemans Arbeit ist «techne» im antiken Sinn des Wortes: Handwerk und Kunst zugleich. Zudem ist Keleman auch als Poet, Bildhauer und Gestalter von Videos tätig.
Im Laufe der letzten vierzig Jahre hat Keleman ein umfassendes formatives Konzept erarbeitet, das zugleich einfach und vielschichtig, differenziert ist und das er ständig erweitert und vertieft.
Einige wichtige Aspekte kommen im Folgenden zur Sprache.
Die Konstitutionstypen «Genetische Muster verbinden sich in einer unbegrenzten Vielfalt und schaffen eine Grundlage für das Temperament». (S. Keleman)
Es ist der jeweilige genetisch-familiäre Pool, der dem Einzelnen eine bestimmte konstitutionelle Konfiguration mitgibt. Diese ist auf einer fundamentalen Ebene dafür verantwortlich, ob ein Mensch gleichsam in seinen Eingeweiden sitzt (endomorph), vor allem handlungsorientiert ist (mesomorph) oder - mit tausend Antennen ausgestattet - empfänglich für jede Art von Eindrücken ist (ektomorph). Keleman bezieht sich dabei auf die Konstitutionslehre des Amerikaners William Sheldon, der davon ausgeht, dass die von den 3 Keimblättern Endoderm, Mesoderm, Ektoderm ausgebildeten Körperschichten bei einzelnen Menschen in ihrer Qualität unterschiedlich ausgebildet sind. So entstehen die Konstitutionstypen: endomorphe, mesomorphe, ektomorphe.
Keleman zeigt, wie die je individuelle konstitutionelle Konfiguration auch die Ausdrucksformen von Liebe mitbestimmt. Konstitution ist «genetisches Schicksal», doch wie ein Mensch es einsetzt und gestaltet, gehört zu seinem eigenen Formungsprozess (vgl. «Formen der Liebe»). Auch hier überschreitet Keleman - wie schon Adler - die kausaldeterministische Sicht.
Die drei Selbstebenen
Jeder Mensch antwortet auf innere und äussere Impulse aus je unterschiedlichen Schichten seiner Persönlichkeit, die mit entsprechenden Gehirnfunktionen verbunden sind:
- das instinktive (vorpersönliche) Selbst
- das soziale, gesellschaftliche (nachpersönliche) Selbst
- das persönliche Selbst
Wir brauchen alle drei Selbstebenen - manchmal ist die eine, dann wieder die andere im Vordergrund. Dafür braucht Keleman das Bild des «Rolltreppenfahrens» zwischen den verschiedenen Ebenen des Selbst. Dies bedeutet, ein Prozess zu sein, der sich selbst erschafft.
«Jede der Schichten kann zuviel oder zuwenig Kontrolle ausüben. Kontrolliert die an der Gesellschaft orientierte Schicht zu stark, werden wir überzivilisiert und roboterhaft. Kontrolliert diese Schicht zuwenig, werden wir von unseren Impulsen überrannt. Ist unser personales Selbst zu schwach, besteht die Gefahr, dass wir uns entweder mit den sozialen Bedingungen oder mit unseren instinkthaften Bildern und Trieben überidentifizieren....». (Forme dein Selbst, 55/56)
Mit Hilfe der Wie-Übungen können die einzelnen Selbstebenen reguliert und der Dialog zwischen ihnen beeinflusst werden.
Das dialogische Prinzip
Ein wichtiger Aspekt von Kelemans Konzept ist der Dialog zwischen den verschiedenen Hirnbereichen und ebenso der Dialog zwischen Hirn und Körper durch die Veränderung von bestehenden somatisch-emotionalen Mustern, wodurch somatisch-emotionales Wachstum möglich ist.
Wie Menschen einander nahe sind, hat mit Intimität zu tun. Es geht jedoch auch darum, wie der Organismus sich selbst nahe ist. Eine Realität miteinander teilen, das bedeutet Intimität - innere, intraorganismische und diejenige mit anderen, die interorganismische. Intimität mit sich selbst formen ist die Voraussetzung dafür, wie sie mit anderen geformt werden kann.
Somatisch gesehen bedeutet Intimität den Bereich zwischen Isolation und Verschmelzung, kann also als Polarität von mit sich sein und Verbundenheit verstanden werden. Intimität basiert auf einem natürlichen Programm von schwellen und schrumpfen. Über den Kortex, mit willentlicher Einflussnahme, kann dieses angeborene Programm beeinflusst werden.
Einen weiteren wichtigen Aspekt des organismischen Dialogs stellen Gesten der Hände dar. «Die Hand ist das Organ, das ermöglicht, mit sich selbst über sich selbst zu kommunizieren» (S. Keleman). Alle diese Dialogebenen werden von Keleman in die formative Arbeit mit Menschen, in die Gestaltung der Wie-Übungen miteinbezogen.
Auch Träume sind Botschaften aus der Tiefe des eigenen Organismus, ein Dialog des Organismus mit sich selbst. Nicht die Bilder und ihre Deutung ist der Fokus sondern die Arbeit mit leibhaften Gestalten des Traums, aus denen der Träumende die organisierenden Impulse zu sich nehmen und als Kosmos somatisch-emotionaler Schichten gestalten kann. Auch hier bildet die Wie-Methode die Grundlage, die auf eine kunstvoll-differenzierte Weise angewendet wird.
Zusammenfassend zum intra- und interpersonalen Dialog sei ein Text aus «Verkörperte Gefühle» S. 181 zitiert:
«Die anatomische Struktur ist der grundlegende Archetyp des Denkens und der Erfahrung. Anatomie ist innerer Bezug. Organe beziehen sich auf andere Organe. Schichten spezialisierten Gewebes stehen in Beziehung zu anderen Schichten; Oberflächen stehen mit anderen Oberflächen in Kontakt. Anatomische Beziehungen sind gleichzeitig emotionale Beziehungen. Pulsierende Organe erzeugen gute Empfindungen, ein Gefühl des Wohlbefindens und der Freude. Verengte, spastische, aufgedunsene oder schwache Gewebe lassen Schmerz, Unbehagen oder unangenehme Empfindungen über unser Selbst oder einen Teilbereich des Selbst entstehen. Anatomie und Empfindungen sind auch Verhaltensbeziehungen. Jeder Zusammenbruch in der anatomischen oder emotionalen Organisation führt zu einem entsprechenden Zusammenbruch des Verhaltens.»
Anatomie ist die Grundlage menschlicher Beziehungen. Was in unserem Innern geschieht, in den Verbindungen, die die Struktur unserer Persönlichkeit aufrechterhalten, das geschieht schliesslich auch aussen. Die Pulsation und ihre Gestalt sind der Eckpfeiler des organismischen Prozesses sowie für intra- und interpersonale Formen. Menschliche Beziehungen sind somatische Interaktionen der emotionalen Pulsation und eine Verhaltensform in uns und ausserhalb unserer selbst.
Auch die therapeutische Beziehung wird entsprechend als leibhafter Dialog verstanden. Die Therapeutin oder der Therapeut verkörpert sich und bezieht sich auf die KlientInnen so, dass das somatisch-emotionale Wachstum gefördert werden kann. Dabei muss die begleitende Person die eigenen Stärken und Schwächen in Bezug auf Konstitution und Somatypus (vgl. später) mit in den somatisch-emotionalen Prozess einbeziehen (vgl. «Der körperliche Dialog in der therapeutischen Beziehung»).
Doch das Herzstück der therapeutischen Beziehung fasst Keleman in die Formel: «DaSein ist MitSein». Er sagt: «Wir empfangen unsere Klienten, wir nehmen sie auf, aber wir verleiben sie uns nicht ein. Die Fähigkeit, einen anderen Menschen empfangen zu können, unterscheidet sich von Qualitäten wie Verständnis oder Empathie. Der Therapeut nimmt den Klienten auf in seiner Art, somatisch-emotional da zu sein. Wenn ein Klient sich in der Gegenwart einer solchen Stabilität und Lebendigkeit befindet, ist er gehalten.»
Die Stadien der Liebe
Stanley Keleman ist der erste, der ein konsequent im somatischen verankertes Wachstumskonzept für Kindheit und Erwachsenenalter realisiert hat.
In der kindlichen Entwicklung sind die erwachsenen Bezugspersonen dazu da, das Kind in seinem allgemeinen und individuellen Formungsprozess zu unterstützen. Jedes Kind muss lernen, seine genetischen Gegebenheiten anzunehmen und sinnvoll einzusetzen. Angeboren ist der Drang, die biologisch erwachsene Gestalt zu bilden und gleichzeitig, dies auf eine persönliche Weise zu tun. Angeborene Verhaltensmuster werden gelebt und durch Variationen persönlich gemacht. Dasselbe gilt für die Konstitution. Doch jedes Kind braucht Unterstützung in seinem formenden Prozess, darin, wie es sich gemäss seinen mitgegebenen, ererbten Faktoren auf seine eigene Weise entwickeln kann.
Was traditionellerweise «Erziehung» genannt wird, bedeutet, das Kind gemäss seinen Wachstumsstadien zu begleiten. Die Liebes-Beziehung zwischen Eltern (nahen Bezugspersonen) und Kindern erfordert von einem Stadium zum andern immer wieder andere Beziehungsqualitäten, die leibhaft ausgeformt und gelebt sein wollen.
Keleman unterscheidet die folgenden Stadien der Liebe:
- Fürsorge (care for)
- Anteilnahme (care about)
- Austausch (sharing)
- Kooperation (cooperation)
Im besten Fall lernt das Kind, dass es
- aufgehoben und geborgen ist
- ein einmaliges Wesen mit spezifischen Qualitäten und Möglichkeiten ist
- seine innere Welt mitteilen und in einem intimen Austausch stehen kann
- zu einem grösseren Ganzen gehört, zu dem es seinen eigenen Beitrag zu leisten vermag.
Die im Raum der Beziehungen gestaltete Lebens-Form ist der Boden, auf dem der Übergang ins Erwachsenenalter stattfindet.
Die Wachstumsstadien des Erwachsenenalters
Die beschriebenen Stadien der Liebe betreffen die Zeit, in denen Eltern ihre Kinder aktiv im formbildenden Prozess begleiten. Doch die Aufgabe des Menschen besteht nicht nur in Formbildung (Morphogenese) sondern auch in einer lebenslangen Umgestaltung der leibhaft-emotionalen Formen dessen, wie ein Mensch sein In-der-Welt-sein gestaltet (Metamorphose).
Ein Mensch mag erkennen, dass seine individuellen Muster der Lebensbewältigung nicht genügen, familiäre oder gesellschaftliche Gegebenheiten mögen ihn zur Umgestaltung anregen, und jede Lebensphase erfordert andere Qualitäten dessen, wie ein Mensch sich in der Welt bewegt.
Keleman bietet ein Konzept der Lebensphasen an, das ebenfalls biologisch verankert ist, sich jedoch mit der formativen Gestaltung verbindet. Keleman sieht die verschiedenen Lebensphasen folgendermassen:
unformed adult: |
ungeformter Erwachsener |
= Kind |
underformed adult: |
wenig geformter Erwachsener |
= Jugendlicher |
young adult: |
junger Erwachsener |
|
fully grown adult |
voll ausgewachsener Erw. |
= Alfa-Erwachsener |
deep/mature adult: |
tiefer/reifer Erwachsener |
|
aged adult: |
alter Erwachsener |
|
Die Entwicklungsdynamik zielt zunächst darauf hin, die erwachsene Gestalt zu erreichen und danach, sie auszufüllen. Den voll erfüllten Erwachsenen nennt Keleman den «Alpha-Erwachsenen». Er ist auf Weltgestaltung, auf Handeln und Bewirken ausgerichtet, organisiert sich von seinem Brustraum aus auf die Welt hin. Sein Denken und Empfinden sind zunächst linear. Eine sehr junge Frau, ein junger Mann möchte einfach wissen, wer sie/er ist, eine eindeutige und klare Identität bilden. Mit der Zeit wird deutlich, dass die eigene Identität aus verschiedenen Schichten besteht, zwischen denen hin- und hergewechselt werden kann: die «Berufsfrau»/der «Berufsmann», die «Mutter»/der «Vater», «Geliebte(r)», «PartnerIn» etc. Es handelt sich um handlungsorientierte, stark geformte Organisationen.
Der Beginn der zweiten Lebenshälfte ist eine Vorbereitung auf eine Vertiefung, die von der Natur zwar vorgesehen ist, aber auch verpasst werden kann. Menschen können «ewige Jugendliche» bleiben oder sich am Stadium des «Alpha-Erwachsenen» festklammern, bis sie das Alter einholt und überwältigt. Oder sie können die Chance aufnehmen, der Wachstumsdynamik zu folgen. Ist beim Alpha-Erwachsenen der Schwerpunkt im Brustraum, so sinkt die Körpermasse mit dem Älterwerden in den Bauch-Beckenraum ab. Man kann sich dagegen wehren oder lernen, sich vom neuen Schwerpunkt her zu verkörpern. Die mesomorph-rigid-kompakte Qualität geht über in eine mehr endomorph-poröse Qualität, eine, die durchlässiger ist und sich mehr im Bauchraum lokalisiert. Der schnelle Pulsations-Rhythmus weicht einer tieferen und langsameren Pulsation aus dem Beckenraum, die rechte Hirnhälfte wird dominanter gegenüber der linken.
Beim Erwachsenen der ersten Lebenshälfte steht die Beziehung zur Aussenwelt, beim reifen Erwachsenen die Beziehung zu sich selbst im Vordergrund.
Reife kommt, wenn jemand die Stürme emotionaler Liebe, die Arbeit gemeistert und die eigene Individualität etabliert hat. Die Erregungsmuster haben eine tiefere Amplitude, ein rhythmischeres und sanfteres Ebbe-Flut-Muster. Der «tiefe Erwachsene» wächst im Innern des Erwachsenen der ersten Lebenshälfte und reorganisiert das instinktive und soziale Selbst. Hier beginnt der Dialog zwischen dem universalen Erwachsenen und den Formen eines persönlichen und subjektiven Erwachsenen.
Beim Menschen ist der Reifeprozess nichts Automatisches. Er erfordert eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen dem, was gegeben ist und der willentlichen Einflussnahme, der Gestaltung einer eigenen, persönlichen Form. Der reife Erwachsene ist die Gestalt, die jemand vor dem «Alterskörper» hat. In dieser Phase des reifen Erwachsenen ist das Gravitationszentrum tiefer gelegen. Die intensive kortikale Aktivität zur Planung der Zukunft und Entwicklung von detaillierter motorischer Spezialisierung vermindert sich. Der Fokus liegt auf dem Fühlen, auf Ausdruck und auf somatischer archetypischer Imagination. Die Gegenwart vertieft sich, die Zukunft verkürzt sich. Die Möglichkeit des Wiederholens geht dem Ende entgegen. Die reife Gestalt ist das Auftauchen einer nicht mehr linearen sondern elliptischen somatisch-emotionalen Präsenz. Die Qualität, andere Menschen und das Leben überhaupt aufzunehmen und einzuschliessen steht im Vordergrund. Die Zeit wird nicht mehr erlebt als in Sequenzen eingeteilt sondern als intuitive Präsenz, als Gegenwärtigsein.
Die reife Gestalt hat eine allgemeine Wärme und Zuneigung, ein Wohlwollen, das einer weiteren Perspektive zu verdanken ist. Diese Qualität des Umarmens bringt Menschen näher zu den Ereignissen ihrer Vergangenheit und Gegenwart, zu Freunden und geliebten Menschen.
Vom tiefen somatischen Selbst kommt ein inneres Orakel, Intuition genannt. Dieses innere Flüstern verwandelt die unpersönliche biologische Gestalt in eine persönliche Stimme. Dies bedeutet eine neue Freiheit. Der reife Erwachsene befreit den Menschen von den Forderungen des instinktiven, sozialen, wettbewerbsorientierten Befehlshabers. Wählen-Können kommt von einem tieferen Erregungspuls her, von wo jemand fragen kann, was dabei ist, sich zu formen. Der vertiefte, reife Erwachsene gestaltet eine persönliche und universelle Präsenz. «Erbe» ist nicht mehr Schicksal sondern Wahl und Gestaltung dessen, was ein Mensch übernimmt, um es umzugestalten und an die nächste Generation weiterzugeben.
Beeinträchtigungen der Form und Muster somatischen Leids
Auch wenn in Kelemans Konzept und in der konkreten therapeutischen Arbeit der Wachstumsprozess und seine Begleitung und Förderung im Zentrum stehen, hat er sich dennoch fundiert im Laufe seines gesamten Schaffens mit den Beeinträchti-gungen auseinandergesetzt. «Insults to form» - Beeinträchtigungen der Form - können aus inneren somatischen oder von äusseren Einflüssen herrühren. Sie beeinträchtigen den Prozess von Formbildung und Umgestaltung, von Morphogenese und Metamorphose.
a) Schreckreflexkontinuum
Keleman geht in seinem Konzept vom Schreckreflex (startle) aus. Dieser ist ein allen Säugern gemeinsamer instinktiver Reflex, der es ermöglicht, unbekannten Situationen, solchen die als bedrohlich erlebt werden, durch eine angeborene Reaktion des Fokussierens zu begegnen. Wir halten inne, pausieren, versteifen uns, spannen unsere Muskulatur an, halten den Atem an, erforschen die Lage und reagieren, indem wir entweder warten, bis die Gefahr vorüber ist, oder handeln. Ist die Bedrohung ernsthafter Natur oder geht sie nicht vorbei, vertieft sich das Schreckmuster. Wir versuchen, die Schwierigkeit zu umgehen, wenden uns ab, stellen uns auf Kämpfen oder Flüchten ein. Bleibt die Bedrohung noch länger bestehen, oder kann sie durch das Beibehalten unserer vorhergehenden Haltungen nicht verringert werden, versteifen wir uns, ziehen uns ein, geben nach oder brechen zusammen. Im Idealfall ändert sich unsere Form als Reaktion auf eine innere oder äussere Gefahr nur vorübergehend; sobald die Gefahr vorbei ist, kehren wir in den Zustand normaler Aktivität zurück.
b) Stressmuster
Doch wenn sich diese Situationen wiederholen oder lange andauern, kann der Schreckreflex nicht mehr ganz aufgelöst werden, sondern bleibt als Bereitschaftsmuster im Organismus haften. Die beiden Parameter «Dauer» und «Intensität» können bewirken, dass sich der Schreckreflex als vorübergehende Reaktion zu einem dauernd präsenten Stressmuster verdichtet, welches das Pulsationskontinuum von anschwellen - ausdehnen - zusammenziehen - pausieren - porös werden nicht nur auf Zeit sondern grundsätzlich beeinträchtigt.
Das Stressmuster bietet die Grundlage zum Verständnis der verschiedenen soma-tischen Formen von Trauma. «Schock» hingegen als Erstarrung in Furcht und Schrecken ist nicht Teil des Schreck-Stress-Kontinuums. Es kommt «zu plötzlichem Schrumpfen und Fragmentierung einem Zersplittern, als ob der gesamte Organismus auseinanderfalle. Alle Hohlräume des Körpers - Kopf, Brust, Mund und Bauch - verengen sich auf einmal. Der innere Bewegungsfluss ist minimal, die Handlungsfähigkeit erstarrt, die Glieder versteifen, der Atem wird in Ausatemstellung festgehalten. Das Zurückweichen nimmt die Form eines Rückzugs ins Koma an». (Keleman: «Verkörperte Gefühle», S. 95)
Was andere Schulen häufig als Schock bezeichnen, ist in Kelemans Konzept (oft) Teil des Stresskontinuums, vor allem Position 4 (s. «Verkörperte Gefühle», S. 96/7). Trauma kann ebenso wie alle anderen Störungen mit der Wie-Methode behandelt werden.
Keleman hat ebenso ein differenziertes Verständnis von Störungen wie des Kontinuums von Panik und Depression, sowie von Paranoia und Hysterie, der Borderline-Störung und anderen mehr aus somatischer Sicht entwickelt (vgl. pattern of distress).
c) Die Somatypen
Die Stressmuster können sich vertiefen und alle Schichten des Organismus beeinflussen. Sie werden schliesslich zu bleibenden, gesamtorganismischen oder somatisch-emotionalen Zuständen, welche von der formativen Psychologie als «Somatypen» bezeichnet werden. Sie sind deshalb nicht ererbt wie die Konstitutionstypen sondern bilden sich als Antwort auf innere und äussere Einflüsse aus. Die pulsatorische Flexibilität und die Ausbildung somatisch-emotionaler Qualitäten der Selbstgestaltung und der Beziehung zur Umwelt werden beeinträchtigt. Dies geschieht einerseits durch genetisch bedingte Schwächen, durch schicksalsbedingte Bedrohungen wie durch Störungen in den Beziehungsstadien zwischen Kindern und ihren unmittelbaren Bezugspersonen. Der Organismus fixiert sich in der Folge in einem der vier Stadien - er wird porös und sinkt ein, schwillt auf, versteift oder verdichtet sich. Keleman hat die Somatypen in seinem Buch «Verkörperte Gefühle» eingehend dargestellt. Im selben Buch und ausführlicher in «Formen der Liebe» werden die Zusammenhänge mit der Familie und ihren Angeboten an Liebe entsprechend den Wachstumsstadien der Kinder dargestellt.
Die Somatypen werden zudem mit klassischen Störungsbildern in Verbindung gebracht.
Emotionale Anatomie
«Anatomie ist Schicksal, solange sie ein somatischer Prozess ist. Wir müssen lernen, Anatomie mit neuen Augen zu sehen, nicht nur als statischen Materialis-mus, nicht nur als Abbildungen toter Körper, Abstraktionen in Form physiologischer Formeln oder als Vorstellungen von der Natur, die nicht die Natur selbst sind. Anatomie bezieht sich in Wirklichkeit auf einen dynamischen Lebensprozess, ein Mysterium, eine Initiation, die Gestalt der Erfahrung, die Empfindung, Denken und Handeln entstehen lässt. Sie handelt von uns als empfindenden Formen. Sie hat zu tun mit unserer genetischen, embryologischen und persönlichen Geschichte. Sie betrifft die Verletzungen, die wir durch unsere Familie und die Gesellschaft erfuhren, und was wir taten, um unsere eigene Integrität unter Zwang zu wahren. Anatomie bezieht sich auf die Form, die uns die Natur gab, auf die Formen, die wir als Teil einer bestimmten Gesellschaft und Familie erschaffen mussten, und auf die Form, die wir gegenwärtig gestalten. Emotionale Anatomie zu kennen, heisst die Schmerzen von Verlangen und Enttäuschung, die Konflikte im Kontakt und beim Streben nach Befriedigung, den Geschmack von Intimität und Individualität, das Wissen um bedingte und bedingungslose Liebe zu erfahren.» («Verkörperte Gefühle», S. 185)
Sprachkonzept der formativen Psychologie
Bis jetzt wurde Kelemans Konzept inhaltlich erfasst. Doch jedes Konzept muss gleichzeitig sprachlich vermittelt werden. Die Schwierigkeit besteht darin, dass unsere europäischen, d.h. westlichen, Sprachen so beschaffen sind, dass sie vor allem die traditionellen Modelle ausdrücken können, die auf einem dualistischen und damit trennenden Verständnis lebendiger Prozesse beruhen. Hier ist Materie - dort Geist oder/und Seele. Daraus entsteht eine fundamentale Schwierigkeit für neue, vom traditionellen Trennungsmodell abweichende Entwürfe, da es für sie keine bereitstehenden Begriffe, keine vorgeformte sprachliche Gepflogenheit gibt. Ein neues Modell stösst deshalb nicht nur inhaltlich an Grenzen, die durch das Festhalten am Gegebenen bestimmt sind sondern auch an sprachliche Grenzen. Für neue Entwürfe gibt es keine Sprache als bereitstehendes Gefäss, welches diese Inhalte aufnehmen könnte. Nicht nur ein neuer Inhalt muss entworfen werden, sondern auch eine neue Sprache als Gefäss für einen neuen Inhalt. Deshalb hat Stanley Keleman seine ganze sprachschöpferische Kompetenz für den Prozess des «languaging», wie er es nennt, eingesetzt. Er war sich stets der Schwierigkeit bewusst, dass die bestehende Sprache sein Konzept nicht ohne weiteres aufzunehmen vermochte. Aus diesem Grund hat Keleman auch die neue Sprache innerhalb der bestehenden Sprache - am Rande ihrer Möglichkeiten - geschaffen, um sein Verständnis menschlicher Dynamik zu fassen. Das bedeutet, dass traditionelle Begriffe umdefiniert werden und eine neue Bedeutung erhalten und sprachschöpferisch in einen neuen und überraschenden Kontext gestellt werden. Keleman lotet alle Möglichkeiten der englischen Sprache - etwa mitschwingende Neben- und etymologische Grundbedeutungen oder Assoziationsfelder aus und scheut nicht vor unüblichen Formulierungen zurück, um für seine Erkenntnisse ein adäquates Gefäss zu formen.
Gerade deshalb bleibt jede Übersetzung neben allen üblichen Schwierigkeiten hier in besonderem Masse unzureichend. In allen Übersetzungen wurden neben Umschreibungen einzelne Begriffe aus dem Englischen direkt übernommen, andere wörtlich übersetzt, obwohl sie im Deutschen zum Teil eine etwas andere Färbung haben. Die Übersetzungen bewegen sich zwischen zwei Polen: einerseits soll der sprach-schöpferische Impuls des Englischen durchscheinen, auch wenn er im Deutschen befremdlich wirkt, anderseits wird versucht, die sprachschöpferische Leistung vom Deutschen her neu nachzubilden. So entstehen Übersetzungen, die einerseits transparent sind auf das englische Original hin, anderseits die deutschen Möglichkeiten der Neubildung auszuschöpfen versuchen.
Durch die bestehende Übersetzungen soll deshalb auch gezeigt werden, dass das Ringen um eine adäquate Sprache im wissenschaftlichen Bereich ein ständig weitergehender Prozess sein muss.
Veröffentlichungen von Stanley Keleman
Die deutschen Übersetzungen der Bücher von Stanley Keleman
- Lebe Dein Sterben. Isko-Press. 4. Aufl. Salzhausen 1995
- Dein Körper formt dein Selbst. Der bioenergetische Weg zu emotionaler und sexueller Befriedigung. Kösel, München 1980 (Your body speaks its mind) (vergriffen)
- Leibhaftes Leben. Wie wir uns über den Körper wahrnehmen und gestalten können. Kösel. München 1982 (Somatic reality) (vergriffen))
- Körperlicher Dialog in der therapeutischen Beziehung. Kösel, München 1990 (Bonding)
- Verkörperte Gefühle. Der anatomische Ursprung unserer Erfahrungen und Ein-stellungen. Kösel, München 1992 (Emotional anatomy).
- Forme Dein Selbst. Wie wir Erfahrungen verkörpern und umgestalten. Ein Übungsbuch. Kösel, München 1994 (embodying experince)
- Formen der Liebe. Ulrich Leutner Verlag, Berlin 2002
Die englischen Bücher von Stanley Keleman:
- Living your dying ($ 10.95)
- Your body speaks its mind. New York 1975 ($ 12.95)
- Somatic reality. Center press, Berkeley 1979 ($ 10.95)
- The human ground. Sexuality, self and survival. Science and behavior books, Palo Alto 1975 (1. Ausg. 1972) ($ 10.95)
- In defense of heterosexuality. Center Press, Berkeley 1982 (vergriffen)
- Emotional anatomy. The structure of experience. Center Press, Berkeley 1985 ($ 29.95)
- Bonding. A somatic-emotional approach to transference. Center Press, Berkeley 1986 ($ 9.00)
- Embodying experience. Forming a personal life. Center Press, Berkeley 1987 ($ 16.95)
- Patterns of distress. Emotional insults and human form. Center Press 1989 ($ 9.00)
- Love. A somatic view. Center Press, Berkeley 1994 ($ 12.00)
- Myth and the body. A colloquy with Joseph Campbell. Center Press, Berkeley 1999 ($ 14.95)
Die Bücher und Tapes von Stanley Keleman können über die Website www.centerpress.com bestellt werden.
Sie können auch per Telefon weitere Informationen erlangen: 001 510 845 8373.
Buchbesprechungen
«Formen der Liebe»
In seinem Buch «Formen der Liebe» zeigt Keleman, wie die jeweilige Konstitution eines Menschen, die Art und Weise, wie er Liebe erfährt und ausdrückt, beeinflusst. Dies zu wissen ist hilfreich im Umgang mit sich selbst, im Verständnis der eigenen Liebesmöglichkeiten sowie im Hinblick auf partnerschaftliches Zusammenleben. Anderseits zeigt Keleman auf, dass jede Wachstumsphase des Menschen eine je andere Qualität von Bindung vonseiten der Beziehungspersonen - vor allem der Eltern - braucht, um eine erwachsene Beziehungsform zu finden. Beeinträchtigungen in diesen Beziehungsstadien rufen entsprechende, von Keleman charakterisierte Beeinträchtigungen hervor, wie er sie aufgrund einer dialogisch fundierten Typenlehre beschreibt. Dieses Buch ist hilfreich für alle Menschen, die ihr eigenes und das Wachsen anderer Menschen verstehen und fördern möchten - für Laien, für Eltern, Erzieher, für Paare und für in Beratung und Therapie engagierte Menschen.
«Myth and the body»
Das zuletzt erschienene Buch von Stanley Keleman «Myth and the body» (die Übersetzung ins Deutsche ist in Vorbereitung) geht von einer spezifischen Form aus, in der Menschen aller Zeiten die Frage «Was/wer ist der Mensch» zu beantworten suchten. Dies ist die Dimension des Mythos. Das Buch «Myth and the body» ist die Frucht einer langjährigen Zusammenarbeit mit dem Mythenforscher Josef Campbell, der immer wieder in diesem Buch in Dialogen eine Stimme erhält: «Mythen sind kollektive Träume». Doch diese Träume sind nach Keleman im Leiblichen verankert. Sie sprechen vom leibhaften Wachstum, stellen ein Versprechen dar, das Vertiefung und Reifung der somatisch-emotionalen Gestalt verheisst.
Parzifal ist nach Keleman der zentrale Mythos der westlichen Welt - ein formativer Mythos, der zeigt, wie Formwerdung und Formenwandel im Sinne von Wachstum stattfinden kann.
Parzifals Leben ist zunächst gegründet in seiner genetischen «Mitgift», in seiner Konstitution, aufgrund derer er zu einem Ritter und Kämpfer wird. Er wird gelebt von dem, was er genetisch geerbt hat und von dem, was ihm die Gesellschaft vermittelt. Dies zeigt sich in seiner ersten Begegnung mit dem verwundeten Graalskönig Amfortas. Parzifal hält sich an den gegebenen Kodex der ritterlichen Gesellschaft, die Distanz und das Unterdrücken mitfühlender Regungen verlangt. Durch diese Haltung ist ihm die Nachfolge als Graalskönig vorerst verwehrt. Im Kampf mit seinem Halbbruder Feirefiz - welcher den anderen, den noch zu formenden Teil von Parzifal repräsentiert - erfährt er eine ihm noch fremde Haltung, nämlich Mitgefühl, indem Feirefiz darauf verzichtet, den besiegten Bruder, der keine Waffe mehr hat, zu töten. Feirefiz folgt nicht dem mesomorphen und von der Gesellschaft vorgegebenen Handlungsimpuls sondern trifft eine persönliche Entscheidung, die Parzifal befähigt, bei seiner erneuten Begegnung mit dem Graalskönig voller Mitgefühl die Frage nach seiner Wunde zu stellen. Jetzt wird er der Graalskönig, der er von Anbeginn gemeint ist zu werden.
Die Geschichte von Parzifal ist eine formative Geschichte und als solche wird sie erzählt und von Keleman verstanden. Die Quintessenz besteht darin, nicht mehr vom Leben gelebt zu werden sondern es zu gestalten, auf die eigenen Impulse Einfluss zu nehmen, ihnen eine persönliche Form zu geben, die erlernt und erarbeitet werden muss. Im Parzifal-Mythos steht dafür die Qualität des Mitgefühls. Dieses ist hier nicht ein natürlicher Impuls sondern in einem individuellen Lernprozess erworbener, in einer Beziehung zu sich selber. Parzifals angeborene Tendenz ist es, ein Kämpfer zu sein. Damit geht er das Risiko ein, sich nicht von Verstand, Mitgefühl und dem, was von innen kommt, berühren zu lassen. Er lässt sich - wie so viele Menschen unserer Gesellschaft - von dem leiten, was Bilder über die eigene Person vorgeben. Damit verpasst er das Mensch- und Mit-mensch-Sein sowie sich selbst.
Vorstellungen und Bilder können dem Bereich gesellschaftlicher Vorgaben entstammen. Doch es gibt eine andere Möglichkeit: Bilder können aus der somatischen Realität eines Menschen aufsteigen.
So «träumt» ein Mensch mit einer endomorphen Konstitution (zu den Konstitutionstypen vgl. «love» von Keleman) von Eingeweide-Qualitäten, mesomorphe Menschen von handlungsorientierten, ektomorphe von Sinneseindrücken.
Konstitutionstypen bestimmen, wie Menschen sich und die Umwelt erfahren, Imagination besteht aus der neuralen Geometrie eines Menschen, die sich in visuellen Bildern ausdrücken kann. Doch nicht diese Bilder sind die Hauptsache sondern die Person selbst als eine lebendige, d.h. verkörperte "Einbildung", die sich weiter gestaltet, um die Tiefe des reifen Erwachsenen auszuformen, der die angeborenen Möglichkeiten nutzt, um daraus eine eigene Gestalt zu erschaffen. Dies ist kein «seelischer» oder «geistiger» Prozess im traditionellen Sinn, sondern ein ganzheitlicher, ein somatisch-emotionaler.
Das Einzigartige dieses Buches ist, dass es das ganze formative Konzept Kelemans, das er in mehr als dreissig Jahren Arbeit und Auseinandersetzung mit den neuesten biologischen Erkenntnissen entwickelt hat, zum Ausdruck bringt. Dies aber geschieht in einer vielschichtigen Weise. Als Grundlage dient der Parzifal-Mythos, dem aber nicht ein psychologisches Konzept übergestülpt wird. Vielmehr wird es aus dem Mythos heraus entwickelt, was ein neues Verständnis des konkreten Mythos ergibt sowie eine Rückbindung mythischen Erzählens überhaupt an seine somatisch-emotionale Basis. So gibt das Buch die Chance, Literatur als solche auf neue Weise zu verstehen und anhand von Literatur Einblick in den formativen Prozess des Menschlichen zu gewinnen. Die Verbindung von Mythenforschung und formativem Verständnis menschlichen Wachstums, spiegelt sich in integrierten Dialogen und Begegnungen zwischen Stanley Keleman und Josef Campbell.
Der Gewinn, den das Lesen und Aufnehmen eines Mythos in formativer Sicht bringt, zeigt sich darin, wie Keleman anhand persönlicher Erfahrungen und deren Gestaltung den Umgang mit der mythischen Dimension konkret werden lässt. Konkret heisst hier: leibhaft.
Das Buch kann gelesen werden als völlig neuartige Annäherung an literarische Werke, als Einführung in formatives Verständnis und formativ bestimmte Lebensgestaltung, als Verbindung und Dialog zweier Wissenschaften, repräsentiert durch die beiden Forscher, als aphorismenartig verdichtete Aussagen über Sinn und Ziel von Menschsein überhaupt. Dazu geben die verwendeten Abbildungen von bildenden Kunstwerken eine weitere sinnliche Dimension, ebenso wie die Zeichnungen.
Künstlerisches Verständnis sowie eine beiden Bereichen entsprechende Sprache.